Leseprobe:

Peter Reutterer: Silbercolt und Sommerliebe (Jugendroman, edition nove, Jänner 07)

1.Teil

1.Kapitel
   Als erstes weihte ich Rina in die neuen Gegebenheiten ein. In einer Schulpause winkte ich sie in den Keller, zog sie in einen der dunklen Winkel. Ihre Augen lächelten. Rina war mir damals das liebste Mädchen. Sie blieb cool, wenn wir Burschen uns im Wald Gefechte lieferten. Und sie duftete nach Schokolade. Halbe Nächte träumte ich davon, an ihr zu naschen. „Wir sollten uns nachmittags am Silbersee umsehen. Unser Seehaus könnte zerstört sein. Die Rambos verschärfen den Kampf, vielleicht halten sie bereits den von uns kontrollierten Silbersee besetzt.“ Rina teilte meine Meinung, dass neue Waffen im Spiel sein könnten. Wir verabredeten uns für den Nachmittag zum Waldgang. In der Klasse selbst war nichts Ungewöhnliches zu bemerken. Das spöttische Grinsen von Silvio Franata hatte kein Gewicht. Den ganzen Tag über war er darauf aus, jemanden zu erniedrigen.
   Bald war ich mit Rina auf verborgene Steige ausgewichen, um ungesehen an den See heranzukommen. Wir Jugendlichen hatten diesen abgelegenen Teich  „Silbersee“ getauft. Wahrscheinlich gab es gar keinen offiziellen Namen für das Gewässer. Einen Erwachsenen hatten wir dort noch nie gesehen. Umso phantasievoller wickelten wir unsere Spiele ab. Doch neuerdings hatten sich die Auseinandersetzungen zwischen uns „Waldläufern“ und den „Rambos“ zugespitzt, unsere Gegner beanspruchten den Silbersee für sich. Von einem Tag auf den anderen hatten sie das Seegebiet zu ihrem Bandenrevier erklärt.
   Heute sah alles sehr friedlich aus, als ich die Farne zur Seite bog, um meinen Blick über die Wasserfläche gleiten zu lassen. Unser Seehaus schien versperrt und unversehrt. Als wir näher rückten, entdeckten wir das Geschmiere an der Tür. „Holz wird zerhackt, Knochen geknackt!“ Doch vorerst hatten die Rambos nicht eingebrochen und auch nichts zerstört.
   Rina hatte sich auf die Bretter am Wasser gesetzt, ließ die Beine ins Wasser baumeln. Seit wir am Haus  angelangt waren, hatte ich meinen Revolver nicht aus der Hand gelegt. Nun aber glänzte Rinas Nacken mir entgegen, und ich wollte abspannen. „Keine Feindbewegung“, stellte ich fest und ließ mich neben ihr nieder. „Das ist gut“, sagte sie cool wie immer, „ich wollte dich nämlich etwas fragen“. „Gern“. „Willst du mich nicht einmal richtig küssen, richtig mit Zunge?“  Für einen Moment überlegte ich, ob ich die Angelegenheit nicht mit einem lockeren Spruch abtun sollte. Ich rang mir allerdings nur ein verlegenes Grinsen ab. Erst nachdem ich mich wieder gefasst hatte, legte ich Rina meine Nase an die Wange und flüsterte: „Weißt du, dass ich dich zum Fressen gern habe?“ Wir begannen uns die Lippen gegenseitig zu kneten und uns die Zungen in den Mund zu schieben. Rinas Zunge war weich,  zart und schleimig. Eine wesentlich interessantere Erfahrung als mein erster Kuss, der bereits zwei Jahre zurücklag.
   Mitten in unserem Schmusen kippte Rina plötzlich zur Seite, ich schreckte aus meiner Versunkenheit auf. Hätte ich das Mädchen nicht aufgefangen, sie wäre ins Wasser gestürzt. Mitten am Rücken hatte sich ein Betäubungspfropfen durch ihre Bluse gebohrt. Meine Finger konnten ihn deutlich ertasten. Mit all meiner Kraft zog ich  Rina zum Haus hin.  Ich hatte keine Ahnung, woher der Schuss abgefeuert worden war, jedenfalls bot ich ein leichtes Ziel. Wie schnell hätte dieser Anschlag tragisch ausgehen können, wenn Rina bewusstlos in den See gekullert wäre. Zumindest waren unsere Gegner so klug gewesen, mich nicht gleichzeitig zu betäuben. Wir wären womöglich beide ertrunken.


2.Kapitel
  Gwyneth und Rosi saßen in einem der Schilfnester zusammen. Zuerst vernahm ich nur ihr Kichern, dann sah ich Gwyneths blondes Haar aufleuchten. Ihre faszinierend schlanke Gestalt, ihre hellen Augen. Rosi dagegen für mich irgendein „schwarzhaariges Etwas“. „Pet ist süß“, hörte ich Gwyneth sagen. „Wenn er lächelt, zieht es mir eine Gänsehaut auf. „Du wirst doch nicht in Peterlein verliebt sein“, neckte Rosi. Tatsächlich hatten mich meine Eltern einfach „Peter“ getauft. In unserer Westernworld aber und sogar von den Lehrern wurde ich „Pet“ gerufen. Das Kichern war lauter geworden. Als ich meinen Kopf hob, entdeckte ich, dass die beiden Girlies ihr Top abgestreift hatten. Sie kitzelten einander mit Grashalmen an der Haut. „Diese beiden vierzehnjährigen Teenies kapieren einfach nicht den Ernst unsres Bandenkrieges“, dachte ich.
    Aus heiterem Himmel zerriss ein Schrei das Spiel. „Habt ihr eure Zugangsgebühr bezahlt“, brüllte Silvio.“ Die beiden Mädchen drückten sich rasch ihre Tops vor die Brust. Instinktiv spürte ich, dass Silvio sie demütigen wollte. „Wer hat euch erlaubt, euch zu bedecken?“ „Spinnst du?“, fuhr Gwyneth ihn. „Sollen wir euch die Fetzen vom Leib schneiden?“, drohte eine zweite Stimme. Matthäus, Silvios rechte Hand, mischte sich ein. Die Mädchen kreischten. Ich sah, wie die beiden Rambos Gwyneth gepackt hatten, um sie an einen Baum zu fesseln. Rosi, die auf die beiden Rambos los schlug, wurde mit Fußtritten abgewehrt. „Ihr werdet uns als Sklavinnen dienen!“, schrie Silvio. Obwohl ich einen Moment versucht war, abzuwarten, wie weit die Rohlinge gehen würden, sprang ich auf und schoss. Gleich beim ersten Schuss sackte Silvio in die Knie. Matthäus versuchte noch an seine Waffe zu kommen, wurde aber vom augenblicklich nachfolgenden Schuss überrumpelt. Ebenfalls betäubt lag er ins Waldgras hingestreckt da.
    Gwyneth weinte. In meiner Hilflosigkeit reichte ich ihr wortlos ein Taschentuch. Selbst Rosi war sprachlos, was ihr in diesem Jahr noch nie widerfahren war. „Grobiane!“, schluchzte Gwyneth. „Verfluchte Grobiane. Was läuft hier eigentlich ab?“. Neben Silvio lag ein Gewehr, das erste Betäubungsgewehr, das mir seit Ausbruch unseres Bandenkrieges unterkam. „Das hier ist los“, antwortete ich. „Sie haben Gewehre, die unseren Revolvern überlegen sind.“ „Gewehre?“, wunderte sich Gwyneth. „Ja, und jetzt demonstrieren sie gemeine Macht!“ Ich nickte, die nackte Gwyneth war genau das, was Silvios Machtgier Genugtuung verschafft hätte. „Das ist doch gegen die Spielregeln“, schluchzte Gwyneth. Sie hatte Recht, mit derartigen Übergriffen  drohte eine Abenteuergeschichte ins Kriminelle zu kippen. Mein Blick fiel auf die Getroffenen. Es war Zeit, sie zu entwaffnen und zu fesseln. Sie würden bald aufwachen.
   Meine Vorhaltungen prallten an Silvio wie an einer Steinwand ab. Dass irgendwer irgendwen anzeigen würde, glaube er nicht, die Waldläufer würden so wenig wie die Rambos diese verborgene Westernwelt aufgeben. Wir ließen die beiden Entwaffneten schließlich ziehen, ratlos gegenüber der Verrohung  ursprünglich spielerischer Gefechte.
   Zurückgeblieben fielen wir ins Ufergras. „Wir werden den Silbersee nicht räumen. Wir haben das Haus gebaut, wir haben die Rambos immer wieder Lager errichten lassen. Wenn sie  Zugangsgebühren verlangen, werden wir Krieg führen.“ „In einem Monat sind Ferien“, sagte Rosie, „dann wird hier der Teufel los sein, so wie ich Pet und Silvio kenne.“ Sie witzelte schon wieder, während Gwyneth und ich unsere Bestürzung nicht abschütteln konnten.
Ich begutachtete das erbeutete Gewehr. „Winchester“ war auf dem Beschlag zu lesen. Zum Testen erhob ich mich, lief ein paar Schritte, schoss. Ein Glas, das in großer Entfernung aufgeblitzt war, splitterte. „Wenn man es der Hüfte schießt, ist die Winchester fast wie ein Colt zu gebrauchen“, lächelte ich. „Allerdings hätte ich das Glas mit der Faustwaffe von hier niemals erreichen können.“

3.Kapitel
  Am ersten Ferientag war ich um halb acht hellwach. Vor dem Fenster breitete sich die Welt als Spielwiese aus. Der Silbersee in Feindeshand fühlte sich wie ein zu bestehendes Abenteuer an. Nach dem Frühstück flog ich von zu Hause weg dem Waldrand zu. „Der Tag zu schön, um über die eigene Unterlegenheit zu grübeln“, dachte ich und ließ mich ins Moos fallen. Solange die Rambos so gut mit Winchester ausgerüstet waren, hatten wir kaum eine Siegeschance. Tatsächlich zahlten manche ansässige Jugendliche bereits Zutrittsgebühren zum Silbersee. Welche Schmach!
   Die Glocke vom Kirchturm  schlug zur ganzen Stunde an. Es musste neun sein, erst um zehn war ich mit Luki verabredet. Ohne einige Zeilen geschmökert zu haben, verließ er morgens niemals das Haus. Den Waldboden spürte ich sommerlich warm unter den Sohlen. Man konnte dem Wind zusehen, wie er durch die Baumkronen schlenderte. Der Umweg über meinen Schwammerlplatz am Farnhügel würde sich noch ausgehen. Luki würde sein Buchstabenfrühstück erst in einer Stunde abschließen. Am Abend könnte ich meiner Mutter die Schwammerl auftischen. Sie würde Bona Öl aus der Kredenz nehmen. Und ich würde sagen: „Salz sie gut vor dem Rösten!“ Die Brädlinge waren gut gediehen, ich steckte fünf in meinen Rucksack.
    Luki lehnte bereits am Jägerhaus, als ich auftauchte. „Wollen wir heute zu zweit den Silbersee zurückerobern?“, lachte er. „Du hast wohl Ferien“, grinste ich, „weil du jeden Realitätsbezug verloren hast. Außerdem lehnst du an der Wand wie ein Halbstarker. Bewirb dich doch bei den Rambos um Aufnahme“ „Apropos Rambos“, antwortete er,  „glaubst du, dass Silvio und die Rambos schon draußen postiert sind. Was hältst du da davon, wenn wir mit unseren Freunden am See frühstücken.“ „Ich fürchte nur, statt Marmelade werden sie uns Betäubungspfropfen servieren.“
   Voller Tatendrang schlichen wir los. Wer nicht weiß, wie man sich in einem Wald bewegt, hat etwas in seinem Leben verpasst. Die Welt ist voll unglaublicher Lebendigkeit, wenn einem die Gräser und Farne um die Wangen streichen. Wir waren so weit vorgedrungen, dass die Kirchenglocken außer Hörweite waren. Es war angesagt, in Deckung zu bleiben. Luki hatte unser einziges von Silvio erbeutetes Gewehr bei sich. Aber plötzlich lagen wir unter Feuer, bevor  wir auch nur in Sichtweite unseres Sees gelangt waren. Nun war es Gewissheit: In aller Unverfrorenheit hielten die Rambos unser Seehaus samt See okkupiert. Aus zumindest fünf Waffen bespuckte uns das Sperrfeuer. Uns blieb kein Ausweg, als flach auf den Boden gedrückt zurückzurobben.

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